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Interview der Woche mit Diplom-Psychologe Benedikt Salehi

Wir sprechen heute über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Jugendliche mit Benedikt Salehi. Der Diplom-Psychologe, Coach und Dozent ist unser Referent bei den Workshops, die wir für Schulklassen gemeinsam mit JUST anbieten.

Benedikt, die Corona-Situation ist für alle in verschiedenster Ausprägung lähmend und belastend. Wie leiden speziell Jugendliche aus psychologischer Sicht darunter und was ist bei der Bewältigung des Alltags der größte Unterschied zwischen Jugendlichen und Erwachsenen?

Benedikt: Grundsätzlich entsteht der Leidensdruck der Pandemie durch eine Art „Emotionscocktail“. In erster Instanz zeigte sich die Emotion „Überraschung“. Keiner von uns oder besser die wenigsten hatten das Szenario einer Pandemie in unserer modernen Welt auf dem Schirm. Die Eigenart der Emotion „Überraschung“ ist die Fähigkeit, alle folgenden Emotionen in ihrer Wirkung um ein Drei- bis Fünffaches zu verstärken. Folgt dementsprechend eine positive Emotion (z.B. Freude), genießen wir dies umso mehr. Im Falle der aktuellen Situation folgte jedoch - und folgt noch immer - ein Gefühl der Unsicherheit und des Wegfalls von Ordnung und Stabilität. Diesen Gefühlen liegt die Emotion „Angst“ zugrunde. Das heißt, die „Angst“ hat uns aufgrund der vorausgegangenen „Überraschung“ mit einer Vehemenz getroffen, die wir so nicht gewohnt sind. Dies führt dazu, dass weder bei Jugendlichen noch bei Erwachsenen die Automatismen und gewohnten Abläufe im Denken, Fühlen und Handeln greifen. Der Wegfall der Gewohnheiten und die Tatsache der täglichen Flut an „bad news“ verstärken ihrerseits erneut die bereits vorhanden „Angst“. Wir befinden uns in einem circulus vitiosus - einem klassischen Teufelskreis. Bei Jugendlichen kommt aufgrund des erzwungenen „social distancing“ der Wegfall der Peergroup erschwerend hinzu. Zwar betrifft die Reduzierung der Sozialkontakte auch Erwachsene, jedoch gerade Jugendliche benötigen die soziale Gruppe für den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung.

Das Entfalten der eigenen Identität findet im Prozess des Abgleichs von Gemeinsamkeiten und Unterschieden mit Gleichaltrigen statt. Durch den Wegfall dieses Abgleichs und der daraus resultierenden Orientierungslosigkeit entsteht eine Leere. Wir sprechen hier gerne vom horror vacui. Diese Leere kann zunächst mangels Alternativen nicht gefüllt werden, was den Leidensdruck mit andauern dieser Leere sukzessive anwachsen lässt. Aus meiner Sicht gibt es eher eine große Gemeinsamkeit als einen Unterschied in der Bewältigung der Situation zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Diese Gemeinsamkeit ist die Beschäftigung mit der eignen Person, sprich, die eigene Persönlichkeitsentwicklung.

Glaubst Du, es wird rückblickend in der Entwicklung und Persönlichkeitsbildung bei Jugendlichen ein „Corona-Jahr“ spürbar sein?

Benedikt: Definitiv. Jede Erfahrung hinterlässt Spuren in unserer Persönlichkeit. Wir sprechen in der Psychologie von der individuellen Prägung. Die weitaus wichtigere Frage aus meiner Sicht ist, wie proaktiv die Jugendlichen diese Prägung mitgestalten. Denn die aktuelle Situation birgt ungemeine Chancen bezogen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Wir beziehungsweise unsere Jugendlichen haben also die Wahl: Passiv die Pandemie über sich ergehen lassen oder aktiv sich selbst kennenlernen und Bewältigungsstrategien finden, die sich auch auf andere Situationen übertragen lassen.

Wie können wir unseren Kindern, Freunden oder Klassenkameraden helfen, aus diesem Corona-Tief herauskommen? Oder kann das nur jeder selbst schaffen? Falls ja, wie?

Benedikt: Bereits Friedrich Schiller wusste, „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig“. Selbstverständlich kann jeder von uns andere Menschen in der aktuellen Situation unterstützen. Denken wir einmal an die Welle der Solidarität im ersten Lockdown, als junge Menschen die Einkäufe für die ältere Bevölkerung übernommen haben. Oder ähnliches. Und gleichzeitig bin ich der Ansicht, dass letzten Endes der entscheidende Schritt raus aus dem Tief nur von jedem Selbst gegangen werden kann. Das ist wie im Fußball. Natürlich können die Mannschaft, der Trainer und die Betreuer den einzelnen Spieler unterstützen. Die individuelle Leistung muss der Spieler dann allerdings selbst im Spiel auf dem Platz bringen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber die Antwort auf die Frage, wie das jeder selbst schaffen kann, lautet erneut „Persönlichkeitsentwicklung“. Der Blick nach innen ermöglicht eine erhöhte Selbsterkenntnis, ein gesteigertes Selbstbewusstsein und somit ein verbessertes Selbstmanagement. Wir finden Lösungen, wo vorher Probleme waren und gehen Wege, die vorher versperrt schienen.

Wie wichtig ist bei der Durchdringung in diesem Zusammenhang, die Sprache der Jugendlichen zu sprechen? So wie in den Vorträgen für Schulklassen, die wir mit Dir sowie Tatjana und Lorena von JUST auf „Unser Club“ anbieten?

Benedikt: Essentiell. Mindestens genauso wichtig wie das Sprechen der Sprache der Jugendlichen, ist, die Jugendlichen selbst zur Sprache kommen zu lassen und dabei aktiv zuzuhören. Denn nur so gelingt es die Jugendlichen genau dort abzuholen, wo diese geradestehen. Mit all ihren Wünschen, Träumen, Zielen, aber auch Sorgen, Zweifeln und Ängsten.

Um nicht nur schwarz zu malen: Gibt es auch positive Aspekte der Corona-Pandemie? Können wir aus den jetzt gewonnenen Erkenntnissen für die Zukunft neue Angebote für Jugendliche entwickeln oder den Blickwinkel künftig stärker auf andere Themen richten?

Benedikt: Absolut. Grundsätzlich dürfen wir a) unsere Jungend mit all ihren Bedürfnissen bewusster wahrnehmen und b) ihr mehr zutrauen. Allzu oft meinen wir genau zu wissen, was für Jugendliche am Besten ist. Dieses „Schein-Wissen“ führt dazu, dass wir aus unserem vorgefertigten Bild der Jugend oder des Jugendlichen heraus handeln und vergessen, diejenigen, die es betrifft mit ins Boot zu holen. Unser Jugendlichen. Ich sehe die Chance in einem integrativen Ansatz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Denn sobald wir in Ausnahmesituationen, wie die Pandemie eine ist, geraten, funktioniert das Miteinander nur, wenn alle näher zusammenrücken. Warum also erst auf die nächste Ausnahmesituation warten? Rücken wir zusammen und packen es an!