Die Community-Plattform

Login
Login

Interview der Woche mit Club-Historiker Bernd Siegler

In einem Kellerraum auf dem Vereinsgelände fand Club-Historiker Bernd Siegler die lange verschollen geglaubte Mitgliederkartei des 1. FC Nürnberg von 1928 bis 1955. Dahinter verbergen sich auch die Schicksale jüdischer Mitglieder, die 1933 aus ihrem Verein ausgeschlossen wurden. UnserClub.de sprach mit Bernd Siegler über die Tragweite dieses so bedeutsamen Fundes.

Bernd, wie hast Du Dich in dem Moment gefühlt, als Du plötzlich die lange verschollen geglaubten Karteikarten jüdischer Mitglieder in Händen hieltest?

Bernd Siegler: Das war einfach unglaublich. Bislang kannte ich ja mit Franz Anton Salomon nur ein einziges namentlich bekanntes Club-Mitglied jüdischen Glaubens, das am 30. April 1933 aus dem Verein geworfen wurde. Mit Fund der Kartei haben wir jetzt nicht nur die Namen von 143 Club-Mitgliedern, die Ende April ihren geliebten Club verlassen mussten, sondern weitere Namen von Mitgliedern, die den Verein bis Ende 1933 und darüber hinaus verlassen haben oder aus der Mitgliederliste gestrichen wurden. Meines Wissens besitzt in der 1. und 2. Bundesliga nur Hertha BSC eine solch komplette Mitgliederkartei für den Zeitraum von 1933 bis 1945. Viele Vereine haben gar nichts mehr aus dieser Zeit oder müssen sich als Basis für eine Recherche auf die in den Vereinszeitungen abgedruckten Namen von neu aufgenommenen Mitgliedern stützen.

 

Du hast begonnen, die Schicksale einiger dieser jüdischen Club-Mitglieder zu recherchieren. Auf welche Geschichten bist Du dabei gestoßen? Was hat Dich besonders bewegt?

Bernd Siegler: Mein Ziel war immer, den jüdischen Mitgliedern, die in der NS-Zeit aus dem Verein entfernt wurden, einen Namen und ein Gesicht zu geben. Das ist jetzt möglich und dabei werden hoch spannende Biografien sichtbar. Das reicht von erfolgreichen Fluchtgeschichten, die einer wahren Odyssee gleichen, bis zu gescheiterten Emigrationsversuchen, die in Deportation und Ermordung in einem Konzentrationslager enden. Das würde den Rahmen sprengen, dies jetzt näher darstellen zu wollen. Oft sind es übrigens die kleinen Details, die sehr bewegend sind. Ein Beispiel: Dieser Franz Anton Salomon emigriert zunächst nach Italien und dann nach Belgien. Dort wird er nach dem Einmarsch der Deutschen verhaftet und nacheinander in drei südfranzösischen Konzentrationslagern interniert. Sein Vater stirbt in Deutschland, seine Mutter emigriert nach Kuba. Ihm selbst gelingt die Flucht nach Trinidad und von dort nach New York. Er studiert in Abendkursen Jura, heiratet und arbeitet in der Steuerbehörde des Bundesstaats New York. Er stirbt im Oktober 1993. Und was hat er all die Jahre und auf seinen vielen Stationen aufbewahrt, so dass seine Frau es nach seinem Tod dem Leo Baeck Institut in New York überreichen konnte? Den Brief vom 28. April 1933, mit dem der Club ihm mitteilt, dass er aus der Mitgliederliste gestrichen wird. Das finde ich unglaublich, welche Bedeutung für ihn die Mitgliedschaft im 1. FC Nürnberg gehabt haben muss und welch einschneidendes Erlebnis der Verlust dieser Mitgliedschaft für ihn gewesen sein muss.

 

Welche weiteren Schritte ergeben sich für Deine Arbeit als Club-Historiker ganz konkret aus dem Fund?

Bernd Siegler: In einem nächsten Schritt gilt es, die Rechercheergebnisse mit der Meldekartei des Stadtarchivs Nürnberg und deren weitreichenden Forschung zu jüdischen Leben in Nürnberg in der NS-Zeit abzugleichen und so die Biografien zu vervollständigen. Was geschieht dann mit den Rechercheergebnissen, wird es eine Broschüre, ein Buch, eine Ausstellung oder etwas ganz anderes geben? Spannend für mich bleibt auch die Frage, woher der 1. FC Nürnberg wusste, welche seiner Mitglieder jüdischen Glaubens waren. Beim Aufnahmeantrag wurde die Religionszugehörigkeit nämlich nicht abgefragt.

 

Bitte gib uns einen Überblick: Wie weit sind die Fußballvereine in Deutschland bei der Auseinandersetzung mit ihrem Handeln und Wirken während des Nationalsozialismus?

Bernd Siegler: Der Club hat sich schon frühzeitig Mitte der 1990er Jahre mit seiner nicht gerade ruhmreichen Geschichte in der NS-Zeit befasst, also zu einem Zeitpunkt als viele Vereine in dieser Richtung noch gar nichts gemacht haben. Inzwischen setzen sich - und das finde ich sehr positiv - viele Vereine intensiv mit dieser Zeit auseinander. Dennoch sind einige Projekte in dieser Richtung wie z.B. der Jenö-Konrad-Cup oder die Clubverführungen des 1. FC Nürnberg immer noch beispiellos.