Die Leiterin des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg spricht mit uns über die Nürnberger Wochen gegen Rassismus, ihre Arbeit sowie eine zunehmende Polarisierung und teils Radikalisierung der Bevölkerung im Zuge des Coronavirus.
Diskriminierung findet in unserer Gesellschaft überall statt, auch im Fußball. In einigen Kurven der Stadien sowie auf den Fußballplätzen sind rassistische Schmähgesänge noch immer zu hören, Alltagsrassismus wird viel zu oft geduldet. Welche Art von Rassismus im Kleinen nehmen Sie wahr und wie versuchen Sie, hier mit Ihrer Arbeit entgegenzuwirken?
Rassismus ist nach wie vor ein integraler Bestandteil unseres Zusammenlebens. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen - auch in Nürnberg sind wir nicht frei davon. Das zeigen zum Beispiel die Beschwerden, die an unsere Antidiskriminierungsstelle gerichtet werden. Vorurteile und Stereotypen gegen bestimmte soziale, häufig konstruierte Gruppen können zu abwertenden Einstellungen und diese wiederum zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Das erleben Menschen am Arbeitsplatz ebenso wie bei der Wohnungssuche oder im öffentlichen Leben, wenn schon ein nicht deutsch klingender Name oder das Tragen des Kopftuchs zu Absagen oder abfälligen Äußerungen führen. Letztere empfinden Betroffene als besonders verletzend: Sie erleben sie an der Supermarktkasse, im Bus oder eben auch im Fußballstadion. Rassismus hat aber auch viele strukturelle Erscheinungsformen, dazu zählen die verdachtsunabhängigen Kontrollen von Menschen eines bestimmten Phänotyps durch die Polizei zum Beispiel auf Bahnhöfen. Das bedrückende Merkmal von Rassismus ist, dass er Menschen für fremd, nicht zugehörig und im schlimmsten Fall für minderwertig erklärt und sie aus gesellschaftlichen Zusammenhängen ausschließt.
Die Angst vor dem Coronavirus befeuert Verschwörungstheorien und schürt vielfach Rassismus, Stigmatisierung und Diskriminierung. In Nürnberg kommt es regelmäßig zu Corona-Demonstrationen. Wie gefährlich sehen Sie diese Entwicklung, gerade auch für Nürnberg und unsere bunte Stadtgesellschaft?
Wir alle wissen: Die Meinungsfreiheit ist ein höchst schützenswertes Grundrecht. Und so sind viele Meinungsäußerungen selbstverständlich erlaubt. Man kann die Existenz des Coronavirus leugnen oder aber auch die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kritisieren.
Manche Gruppen jedoch nutzen die Corona-Pandemie, um eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft herbeizuführen. Und das erkennen wir leider auch bei den sogenannten „Querdenker-“ und „Hygienedemos“. Diese auch in Nürnberg regelmäßig stattfindenden Protestaktionen ziehen eine breite Schar von Menschen an: bislang nicht aktivistische Personen, Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen und auch Rechtsextreme. Diese wiederum nutzen die aufgrund der massiven wirtschaftlichen und psychischen Belastung durch die Pandemie gestiegene Anfälligkeit vieler Menschen für Verschwörungserzählungen und Radikalisierung. Kritisch und sogar strafrechtlich relevant wird es dann, wenn Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus zu wiederkehrenden Motiven in Protestaufrufen, auf Plakaten und in Reden werden. Zum Sicherheitsproblem werden Anhänger von Verschwörungsmythen, wenn sie ihre Glaubenswelt in Handlungen übersetzen oder andere dazu anstacheln.
Auf jeden Fall enthält die Weigerung, die eigene Freiheit zugunsten von Leib und Leben anderer einzuschränken, ein problematisches Denkmuster. Denn dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Aufkündigung der Solidarität mit den verletzlichen Gruppen und damit des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Und genau den brauchen wir jetzt, um einigermaßen unbeschadet durch diese schwierige Zeit zu kommen.
Durch die Arbeit des Nürnberger Menschenrechtsbüros wird das städtische Leitbild „Nürnberg – Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ mit Leben gefüllt. Herausragend ist hier die Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises. Was können Sie uns über das Engagement der diesjährigen Preisträgerin Sayragul Sauytbay erzählen?
Sayragul Sauytbay ist muslimische Kasachin und stammt aus der Region Xinjiang im Westen Chinas. Dieses Gebiet ist die Heimat vieler Turkvölker, die seit der Jahrtausendwende immer stärker diskriminiert werden mit dem Ziel der kulturellen Assimilation im Sinne des chinesischen Parteistaates. Im November 2017 wurde sie als Ausbilderin in eines der zahllosen so genannten Umerziehungslager zwangsrekrutiert, in denen Schätzungen zufolge mehr als eine Million Uiguren und andere ethno-religiöse Gruppen festgehalten werden. So erhielt sie Einblick in das unmenschliche System dieser Einrichtungen, in denen Gehirnwäsche, drakonische Strafmaßnahmen bis hin zur Folter und Vergewaltigung auf der Tagesordnung stehen. Auch sie selbst musste Folter erleiden. Nach ihrer Flucht nach Kasachstan und von dort aus weiter nach Schweden, wo ihr und ihrer Familie heute Asyl gewährt wird, meldete sie sich trotz permanenter Drohungen und Einschüchterungsversuche öffentlich zu Wort. Ihr Buch „Die Kronzeugin“ ist ein Bericht über unfassbare Verbrechen, die tagtäglich in den Lagern in Xinjiang begangen werden und die langfristigen geopolitischen Pläne Pekings.
Die Jury des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises möchte mit der Wahl Frau Sauytbays aber auch den Blick richten auf die Situation so vieler verfolgter Minderheiten weltweit.
Im Programm zu den Nürnberger Wochen gegen Rassismus unter dem Motto „Solidarität. Grenzenlos“ stecken viele innovative und informative Angebote. Auch wir bieten zwei „Clubverführungen“ an. Welche Veranstaltungen liegen Ihnen denn besonders am Herzen und können Sie der Club-Community empfehlen?
Ich bin prinzipiell ein Fan von Veranstaltungen, die Begegnung und Diskussion ermöglichen. Deshalb interessieren mich zum Beispiel die Kunst-Mitmachaktion des evangelischen Stadtteilhauses leo, aber auch die Angebote der Black Community Foundation. Von der Clubverführung „Eine Fahrkarte nach Jerusalem“ verspreche ich mir einen historischen Erkenntnisgewinn und ein weiteres Highlight für mich ist die Verleihung des Mosaik-Jugendpreises, denn da geht es um das Gedenken an die Opfer des NSU und den daraus resultierenden Auftrag für uns.